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Die Natur liebt Musik (Kapitel 2)

Phantastik oder wahre Wunder entscheide selbst bei dem zweiten Kapitel vom EBook »Wundervolle Nasha«:

Wenn man von der Helligkeit in die Dunkelheit wechselt, dann erkennt man zunächst nur die Dunkelheit. Lebt man jedoch in der Dunkelheit und begibt sich plötzlich hinein in das helle Licht, so sieht man zunächst nur das Licht. Hat man jedoch den Mut und Willen, weitere Schritte nach vorne zu wagen, dann gewöhnt man sich rasch an die Finsternis oder eben auch das Licht, und man erkennt Strukturen und Schönheit. Nach einer weiteren Weile, dann scheint es fast so, als würde man zu dieser seltsamen, grauen Welt gehören.

Ich war damals noch keine 18 Jahre alt und im 2. Jahr meiner Berufsausbildung. Zu der Zeit wohnte ich ganz alleine in einem alten und übel verwahrlosten Personalhaus mitten im Wald. Lehrjahre waren für mich definitiv keine Herrenjahre. In meiner wenigen freien Zeit begab ich mich in die Wälder, in denen ich mich immer auf eine seltsame Art geborgen fühlte, auch wenn es meistens bereits spät in der Nacht war. Meine gastronomische Berufsausbildung ließ mir nur selten die Möglichkeit, auch am Tag in die Wälder zu gehen. Mein aktiven Leben spielte sich in der Nacht ab. Als ein Kind dieses wunderbaren Arrangements aus Licht und Dunkelheit, habe ich mich inmitten einer dieser Nächte, wieder einmal in die zauberhaften Wälder gewagt. Sie erstreckten sich oberhalb von Boppard am Rhein. Ich liebte diese Wälder, ihren Atem und den geheimnisvollen Geist, der in ihnen regelrecht zu wohnen schien. Es war eine wundervolle und ganz klare Sommernacht. Betörend wirkte auf mich der schwere Duft der vielen Pflanzen, welche auf diese Weise die Hitze des vergehenden Tages üppig ausdünsteten. Die Luft schien regelrecht zu pulsieren, nahezu lebendig zu sein. Fein und hauchzart war dagegen die Kühle der Schatten im Licht des Mondes. Man spürte das Leben und die Magie dieses wunderbaren Ortes in jedem Augenblick, den man an diesem Orten verweilte. Nur die polternden Kieselsteine zu meinen Füßen, die ich mit jedem unachtsamen Schritt in wüstes Rutschen versetzte, schienen diese eingespielte Harmonie der Natur ein wenig zu stören. Ich hasste mich für diese Tölpelei.

Doch die Natur, sie versuchte sich unterdessen immer wieder kraftvoll um meinen Körper zu schmiegen. Sie schien wohl auf diese Weise und ihre Art meine Sinne verwirren und betören zu wollen. Wie fast jede Nacht trugen mich meine Füße zu einem fast völlig zu gewachsenen Weg, an dem zwei gefällte Bäume lagen. Die Fußballen schmerzten vom langen Tag im Restaurant und in den Tagungsräumen. In der Nähe dieses Platzes wusste ich von Hügelgräbern längst vergangener Zeiten. Das alte Kloster, es war nur wenige Minuten weit entfernt. Ich setzte mich auf einen dieser alten Holzstämme und atmete tief ein. Es war eine wunderbare Nacht. Die Sterne waren klar zu erkennen. Kein Licht der Stadt störte ihren Glanz. Nicht einmal ein winzigster, lauer Wind regte sich. Kein Rauschen in den Baumkronen war zu hören. Zwischen dem alten Gräberfeld im Wald und den historischen Hexentanzplätzen des Mittelalters, da saß ich nun dort auf den Stämmen und entspannte mich von einem anstrengenden Arbeitstag. An diesem Ort, da fand ich endlich wieder meinen inneren Frieden und konnte den Stress vergessen.

Ganz in der Nähe verunglückten immer wieder Autos auf der Hunsrückhöhenstraße. Es schien fast so, als wären die Fahrzeuge durch eine unsichtbare Hand einfach von der Fahrbahn gedrückt worden. Die Ursache für diese Unfälle, sie wurden nie eindeutig geklärt. Jedenfalls erzählten die Einheimischen immer davon. So gab es viele Legenden zu diesem Stückchen Wald und dieser wahrhaft feinen Umgebung. Diese Geschichten beschäftigten mich immer wieder. Das war kein Wunder. Durch die Erlebnisse in meiner Kindheit waren meine Sinne geschärft und der Instinkt ganz natürlich trainiert.

Mir bereitete es damals keinen Kummer, immer wieder alleine auszuspannen. Ich fühlte mich niemals alleine oder einsam. Es war eine wunderbare Geborgenheit zu spüren, die ihren Weg immer wieder sicher in mein Herz fand. Diese vielen Legenden um den Wald, man konnte deutlich spüren, dass an ihnen etwas Wahres haften musste. Da war weit mehr noch, als üblicherweise an Legenden und Sagen zu haften pflegte. Es war ein Wald, zu dem es viele Geschichten gab und der hinter vorgehaltener Hand der Alten in der Region, stets als Kraft - und Hexenort gehandelt wurde. War man sensibel genug, so spürte man deutlich eine seltsame Kraft an diesem Ort. Doch an diesem besagten Abend, da waren mir die alten Legenden zu diesem Wald eher unwichtig. Ich war müde. Er war gut zu mir, dieser Wald, und es war alles sehr friedlich. Immerhin verbrachte ich oft meine Nächte in seinen Armen, und sein wahrhaft magischer Atem, er war mir nicht mehr fremd. So genoss ich ihn und seine wunderbare Luft, nahm leisen Abschied vom Tag und von der aufreibenden Arbeit, so wie ich es mir bereits Stunden zuvor, ersehnt hatte.

Ich nahm meine alte Blockflöte aus der Tasche, baute sie zusammen, betrachtete sie mir ein wenig und beschloss, ein wenig auf ihr zu spielen. Nur ein wenig Musik und Klänge wollte ich wagen, ganz leise und kaum hörbar. Die Leute redeten ohnehin schon über mich, weil sie von meiner kuriosen Vorliebe wussten, in der Nacht regelrecht den Wald zu suchen. Ja, dieses Musizieren auf dem Holz, das mochte ich zur Entspannung sehr gerne, hatte es aber noch nie zuvor im Wald getan, weil mir das ein wenig zu seltsam vor kam. Es war mir ein wenig peinlich. Doch heute und hier in diesem Wald, zu dieser Zeit und an dieser Stelle, dort schien es jetzt einfach hin zu gehören. Sollten es irgendwelche verirrte Wanderer hören, womöglich ein Förster oder Waldarbeiter, so war mir das in dieser wunderbaren Nacht egal.

Als ich die ersten Töne spielte, sie waren noch sehr zaghaft und ein wenig unentschlossen, da spürte ich ganz seltsam und voller Erstaunen, dass diese Töne und mein Spielen nicht fremd klangen. Sie schienen nicht so falsch und grob zu sein, wie zuvor die Kieselsteine, die ich achtlos zum Rollen und Kullern gebracht hatte. Die Töne meiner Flöte, sie schienen regelrecht vom Wald aufgesogen zu werden. Es waren meine ganzen Gefühle und meine Sehnsucht, die durch die Klänge tief hinein, in die Natur getragen wurden. Beides fügte sich perfekt in diesen Wald ein. Es schien mir, als würde alles mich herum verstummen und andächtig diesen leisen Tönen lauschen. Dieses Empfinden befreite mich von allem Skrupel, und ich spielte so, wie ich es damals konnte und es vermochte.

Nach einer Weile war ein leises Rauschen im Wald zu hören. Es schien sich mir und meinem leisen Flötenspiel langsam zu nähern. Ich hielt einen kleinen Augenblick inne. Mir kam das recht seltsam vor. Das Rauschen ließ sofort wieder nach. Zunächst kam ich zu dem Entschluss, dass es wohl doch ein leichter Wind gewesen sein musste, der die Blätter der Bäume zum Rauschen gebracht hatte. Doch seltsam mutete an, dass es in dieser Nacht eigentlich völlig windstill war und der Himmel klar und völlig ungetrübt seine Sterne leuchten und glitzern ließ. Wie feiner Kies aus kleinen Diamanten, der sich auf einem schwarzen Tuch aus Samt ausgebreitet hatte und von einer hellen Lampe angestrahlt wurde, so funkelten die Sterne über mir. Ein wundervolles Schauspiel gaben sie, das uns Menschen der modernen Zeit leider mehr und mehr verborgen bleibt. Wie die Motten das Licht lieben, so fühlt sich der Mensch dem Licht hingezogen. Alles wird üppig ausgeleuchtet und angestrahlt, oftmals sinnlos und ohne Verstand, nur um der Ungewissheit aus der Finsternis entgehen zu können. So hoffen sie meistens, die Menschen, auch wenn sie wohl damit falsch liegen. Die Umgebung der Leute, sie ist so hell und ausgeleuchtet, dass die Menschen die Sterne nicht mehr sehen können. Der Mensch hat begonnen sich von der Realität zu entfernen, als er sich selbst seinen Ausblick auf den Sternenhimmel raubte. Der Blick in den funkenden Sternenhimmel, er zeigt uns Menschen eindrucksvoll, welchen winzigen und verborgenen Platz im Universum wir wirklich einnehmen. Nur noch an nahezu menschenleeren Orten, wie jener hier im Wald, fernab von den Behausungen, Dörfern und Städten der Menschen, dort kann man noch die Sterne auf dem nächtlichen Samt der Unendlichkeit bewundern. So ließ ich nach einer Weile des stillen Ausharrens dieses Rauschen, eben nur ein Rauschen sein und spielte weiter auf meiner alten Holzflöte.

Doch nach einigen Augenblicken, da schwoll das Rauschen erneut an und näherte sich erneut. Ich spielte jedoch nun unbeirrt weiter. Plötzlich spürte ich einen warmen Wind auf meiner Haut, bemerkte deutlich und klar einen Wind, der die Blätter der Bäume um mich herum bewegte. Nur diese kleine Stelle, an der ich auf meiner Flöte musizierte, sie stand offensichtlich unter dem Einfluss dieser seltsamen Zugluft. Es waren einige Meter in jede Richtung, in denen die Blätter aufgeregt im Wind zappelten. Weiter weg von mir jedoch, dort schien alles ruhig und nächtlich gelassen zu sein. Das war kurios. Ich ließ erneut vom Flötenspiel ab und bemerkte sogleich, wie auch das Rauschen unverzüglich wieder nachließ. Spielte ich weiter, dann rauschte es erneut auf. Mir war die ganze Sache plötzlich unheimlich, doch ebenso faszinierte sie mich auch. Ich bildete mir diesen seltsamen Wind nicht ein. Er war real. Deutlich war er auf der Haut zu spüren, während sich in einigen Metern Entfernung, definitiv kein einziges Blatt mehr regte. So stellte ich meine Furcht vor diesem seltsamen Phänomen zunächst hinten an und spielte einfach weiter auf der Flöte.

Dieser Wind, er schien nichts Bedrohliches an sich zu haben. Es schien mir fast so, als wollte jemand nur dem Klang meiner Musik beiwohnen, einfach nur den Klängen lauschen und sich daran erfreuen.

Nach einigen Minuten ebbte der Wind wieder ab, noch während ich weiter das Instrument spielte. Allerdings schien es mir, als wäre ich nicht mehr alleine. Es war nur so ein Gefühl. Ganz seltsam. Dieses Phänomen, es war noch immer vor Ort, auch wenn es nun nicht mehr für diesen ungewöhnlichen Wind sorgte.

Also stand ich vom Baumstamm auf und begab mich schließlich auf den Heimweg. Es war tiefe Nacht und ich musste daran denken, mich bald Schlafen zu legen, wollte ich am kommenden Vormittag wieder fit und ausgeruht bei meiner Ausbildung erscheinen. Auf dem Weg begann ich erneut auf meiner alten Flöte zu spielen. Ich war natürlich ganz gespannt, was geschehen würde. Doch zeigte ich mich dann kaum verwundert, als das Rauschen erneut begann und mich auf meinem Weg regelrecht einschloss. Es schien fast so, als würde mir diese erstaunliche Erscheinung folgen. Vor mir und hinter mir lag der Wald ruhig und friedlich, wie ich ihn zuvor empfunden und erlebt hatte. Nur einige Meter um mich herum, dort rauschte der Wind wild und ausgelassen, ließ die Blätter der Bäume, Büsche und Gräser aufgeregt zappeln und tanzen. Der Luftzug war nicht so sehr stark, als dass ich nicht mehr spielen konnte, aber er war deutlich zu spüren, zumal er auch durch meine Haare wehte.

Das war ganz beachtlich damals, in dieser wunderbaren Nacht. War es ein Zauber, vielleicht ein Spuk, womöglich eine unbekannte Lebensform?

Erklären konnte ich es mir nicht. Wollte ich es jemandem erzählen, er würde mich gewiss auslachen. Sehr jung war ich noch gewesen und konnte noch nicht so richtig mit diesem wundersamen Phänomen umgehen.

So spielte ich noch eine Weile und verließ dann allmählich wieder den Wald, begleitet von diesem mysteriösen Wind, den ich mir bis heute nicht erklären kann. Er war keine Bedrohung, schien eher eine Art Wesenheit gewesen zu sein, die sich von der Musik angezogen gefühlt hatte. Das mag vielleicht abstrus und wirr klingen. Doch eine andere Erklärung habe ich dafür nicht.
In den kommenden beiden Jahren spielte ich noch oft in dem nächtlichen Wald jene Musik, begegnete diesem Rauschen jedoch nur noch ein einziges Mal erneut.
Doch wer diesen Wald oberhalb von Boppard kennt, nahe bei ihm oder in ihm eine Weile wohnt, der wird wissen, dass dort alles möglich ist. Diese Wälder dort, sie stecken eben voller Wunder und Legenden.

Autor: © Alexander Rossa 2019

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